Bronzemedaille 23|24
Self-Publishing

MISCHPOCHE

Being Jewish, however

Im Laufe der Jahre 2021 - 2022 habe ich mit 29 Juden und Jüdinnen aus vier Generationen über ihr Verhältnis zu Deutschland gesprochen und was es ihnen bedeutet, Jude zu sein. Das waren meine ersten Gespräche mit Juden über das Jüdischsein und ich habe sie im Scherz als meine Therapiestunden bezeichnet, weil ich auch meine Geschichte erzählen konnte. Bis zu diesem Moment war meine Verbindung zu Juden auf eine Liste unserer Familie reduziert, die in Konzentrationslagern umgebracht wurde. Wir hatten keine jüdischen Freunde, kannten keine jüdischen Traditionen aber waren natürlich von vielen Nobelpreisträgern, berühmten Schauspielern und Intellektuellen umgeben, die ja irgendwie dazugehörten. Vor allem aber gab es durch die Shoa keine Familiengeschichten, die weitergegeben wurden. Deshalb habe ich das Projekt auch Mischpoche genannt, Familie. Ich habe von meiner Mutter wahrscheinlich unbewusst gelernt, dass man in Deutschland nicht über die eigene Geschichte der Shoa redet. Das waren aber die 1970er Jahre und vielleicht war der Nachbar Opa Heinz, der ja eigentlich ganz lieb war, ein ehemaliger SS Soldat. Man wusste es nicht, da keiner darüber reden wollte. Erst während des Studiums habe ich sehr zögerlich engen Freunden davon erzählt. Als ob ich mich dafür schämen müsste, sie damit zu belasten. Als hätte ich ein dunkles Geheimnis. Und auch wenn alle zunächst erstaunt darüber waren, habe ich befreiende Erinnerungen an diese Momente. Das Gefühl, ein Geheimnis mit mir herumzutragen, blieb jedoch. Deshalb ist Mischpoche auch ein Outing. Geholfen haben die langen Gespräche für Mischpoche, die mir die Last des Geheimnisses ein wenig von den Schultern nahmen. Sie haben auch meine Leere zum Jüdischsein mit Geschichten, Menschen und Gefühlen gefüllt, die mir gefehlt haben. Dabei hatte jeder seine individuelle Geschichte mit Zweifeln und Auseinandersetzungen mit dem Jüdischsein. Assaf sagte, solange ich zweifle sei alles gut. Giselle befand, ich sei kein Jude. Michaella fand ihren Frieden mit sich in Berlin mit einem zusätzlichen portugiesischem Pass. Juden habe einen besonderen Sexappeal in Deutschland, meinten andere. Rafael fand einen verlorenen Vater und Bruder, Thomas gleich vier weitere Familien, Marcia weinte an der Klagemauer, Oliver hat es versucht. Alon kennt fast alle 613 Gesetze und hält die wenigsten ein, Roey Victoria ist fasziniert vom Tumtum aus dem Talmud und Sharon hat den Auftrag ihrer Eltern, glücklich zu werden. Während des Projekts hatte ich meine Aufs und Abs. Manchmal empfand ich meine Auseinandersetzung mit der jüdischen Identität oberflächlich und aufgesetzt. Letztlich aber gewann immer die Neugier auf die Geschichten die Oberhand und darüber bin ich froh. Alle Beteiligten waren offen und verständnisvoll, als ob sie diese Fragen schon ihr Leben lang begleiten. Ich lernte auch viel über mich, hatte absurde Gedanken und Blockaden. Jew konnte ich einfach sagen, Jude fiel mir schon viel schwerer. Holocaust ging immer und bei Auschwitz musste ich weinen. Und war es eine gute Idee, eine Liste mit Juden anzufertigen? q Mischpoche ist motiviert durch meine fehlende Familie mütterlicherseits aus Tschechien. Ich mache es aber auch für meine Tochter Nil, damit sie einen befreiten Umgang mit ihrer Herkunft findet, weil Mischpoche wichtig ist.

Bildautor*innen: Jan Zappner

Textautor*innen: Alisa Gadas, Lukas Welz, Jan Zappner

Gestaltung: studio lindhorst-emme + hinrichs, Berlin

Herausgeber*innen: Jan Zappner, Amcha e.V.

Verlag: Self Publishing

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