Goldmedaille 25|26
Dokumentarisch-Journalistisch

Buchenwald

Im Dickicht vom Ettersberg

Zwischen 2017 und 2024 durchstreifte der in Leipzig lebende Fotograf Christian Rothe (*1986) mit seiner analogen Großbildkamera das riesige Areal des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald auf dem Ettersberg bei Weimar. Ruinen, kaum noch erkennbare Fundamente, Treppen, Zäune, Wege bilden sich wie topographische Narben und Zeichen im undurchdringlichen Dickicht ab. Was ursprünglich tastend begann, wurde für Christian Rothe zu einer intensiven Spurensuche und Bestandsaufnahme der von der Natur überlagerten Zeitgeschichte. Die schwarz-weiß Fotografien werden durch literarische Passagen aus international bekannten und in viele Sprachen übersetzten Romanen ehemaliger KZ-Häftlinge ergänzt: Bruno Apitz „Nackt unter Wölfen“, Imre Kertész „Roman eines Schicksallosen“ und Jorge Semprún „Was für ein schöner Sonntag“. Essays des Vorsitzenden des Weltkirchenrats Heinrich Bedford-Strohm, des Herausgebers Günter Jeschonnek und der Kuratorin Andrea Karle zur Bildsprache Christian Rothes sowie der Bedeutung heutiger Gedenk- und Erinnerungskultur, ergänzen die Auseinandersetzung mit dem Zivilisationsbruch und Terror des Nationalsozialismus in unmittelbarer Nähe der Stadt der großen deutschen Dichter und Denker.

Bildautor*innen: Christian Rothe

Textautor*innen: Heinrich Bedford-Strohm, Günter Jeschonnek, Andrea Karle

Gestaltung: Christian Rothe

Herausgeber*innen: Günter Jeschonnek

Verlag: Hartmann Books

Verlag Bestell-Link: Buchenwald

ISBN: ISBN 978-3-96070-125-5

Laudation von Alexa Becker
Kunsthistorikerin, Fotobuchexpertin und freie Beraterin für Fotograf*innen, Heidelberg

Zwischen 2017 und 2024 durchstreifte der in Leipzig lebende Fotograf Christian Rothe mit seiner analogen Großbildkamera das weitläufige Areal des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald.
Was zunächst tastend begann, wurde zu einer tiefgehenden Spurensuche: eine Bestandsaufnahme der von der Natur überlagerten Zeitgeschichte. Ruinen, kaum noch erkennbare Fundamente, Zäune und Wege zeichnen sich wie topographische Narben im Dickicht ab. Die Natur hat sich das Terrain zurückerobert - und doch ist nichts vergessen. Alles ist noch da, wenn auch zerfallen, überwuchert, und teilweise überdeckt.

Christian Rothes fotografische Annäherung ist behutsam und zugleich schonungslos. Seine Bilddramaturgie baut sich zurückhaltend auf: Wir treten ein in eine Landschaft, die zunächst nur Wald zu sein scheint - bis sich erste Spuren der Geschichte zeigen. Mit jedem Bild wird der Blick geschärft, die Erkenntnis nimmt schleichend aber unaufhaltsam zu.

Das Fotobuch bringt die Schwarz-Weiß-Fotografien in einen kostbaren Dialog mit dem Gedicht Der gefesselte Wald von José Fosty sowie mit literarischen Passagen aus den Werken weiterer ehemals in Buchenwald Inhaftierter - Bruno Apitz, Imre Kertész und Jorge Semprún.

Doch dieses Buch spricht auch durch seine Gestaltung:

Allein durch seine Form arbeitet es mit Metaphern: Das hohe, schmale Format verweist auf die Bäume des Ettersbergs. Der Buchumschlag ist vollständig mit einer Gaze überzogen - ein feiner Stoff, der wie ein Schleier oder Vorhang wirkt. Vielleicht ein Schleier des Vergessens. Und doch kann er nicht vollständig verdecken, was war. Genau darin liegt seine Aussagekraft.

Nimmt man das Buch in die Hand, teilt sich unmittelbar mit: Hier wurde mit großer Sorgfalt gearbeitet - in jeder Hinsicht. So präzise, wie der Fotograf sein Thema interpretiert und festhält, so sorgfältig ist auch die Umsetzung ins Material. Der Druck ist herausragend, das gewählte Papier weich, offen und haptisch ansprechend. Sogar der silbrige Faden, mit dem das Buch gebunden ist, harmoniert mit den Schwarz-Weiß- und Grautönen der Fotografien. Nichts ist Zufall. Alles ist Aussage.

Nicht zuletzt dadurch erklärt sich wohl, dass nicht nur wir uns hier entschlossen, Buchenwald auszuzeichnen, sondern dass beinahe zeitgleich auch die Jury der Stiftung Buchkunst sich dazu entschloss. Es berührt mich zutiefst, dass ein solch wichtiges Thema auf so überzeugende Weise und so subtil umgesetzt wurde.

Christian Rothes Buch ist mehr als eine Sammlung von Fotografien. Es ist ein stiller, eindringlicher Appell. Es fordert uns auf, genau hinzusehen. Es erinnert uns daran, dass Geschichte nicht vergeht, nur weil die Natur sie überwächst. Erinnerung braucht Worte - und Bilder und Bücher wie dieses hier.

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