Francis Bacon – In the Mirror of Photography
Collecting, Preparatory Practice and Painting
Der britische Maler Francis Bacon (1909–1992) ist berühmt für seine idiosynkratische Darstellung der menschlichen Figur; schreiende Päpste, sich windende Akte und verzerrte Porträts prägen seine Gemälde. 30 Jahre nach seinem Tod sind seine Arbeitsmethoden kaum erforscht. Neue Analysen des Inhalts seines letzten Ateliers in der 7 Reece Mews und darauf aufbauende Untersuchungen eröffnen überraschende Perspektiven auf die Genese seiner Werke: Bacon griff für sein Bildprogramm regelmäßig und gezielt auf das fotografische Material zurück, das er in seinen Ateliers zu diesem Zweck sammelte. Bei der Arbeit allein mit Myriaden an fotografischen Bildern, sah er die Welt durch den Filter der Fotografie. Seine Gemälde sind – wenn auch durch einen hochkreativen und transformativen Arbeitsprozess von diesen radikal entfremdete – ölgewordene Fotografien. Zwar steht Bacon damit in der Kunstgeschichte nicht allein dar, doch erhielt das Gebiet „Malerei nach Fotografie“ in den letzten Jahrzehnten weniger Beachtung und auch die Bacon-Forschung hat sich vornehmlich anderen Themen zugewandt. Francis Bacon – In the Mirror of Photography verknüpft Bacons bekannte Bildvorlagen erstmalig umfassend mit seiner Ikonografie. Dabei wird die langjährige Forschung der Autorin mit bereits in der Literatur benannten Bild-Bild-Verbindungen verknüpft. Insgesamt 369 von 584 Gemälden, die im 2016 erschienenen Francis Bacon. Catalogue raisonné aufgelistet werden, und einige zusätzliche zerstörte und heute verschollene Gemälde, konnten so mit einer oder mehreren Quellen verbunden werden. Diese fanden sich über alle Jahrzehnte von Bacons Schaffen hinweg, in allen Genres, allen Stilrichtungen und für alle Motivarten. So kann diese Untersuchung Bacons Behauptung, seine Ikonographie entstünde „per Zufall“, eine Idee, die sich hartnäckig in der Bacon-Literatur hält, widerlegen, um diesen Aspekt seiner Arbeit anschließend korrekt im Arbeitsprozess zu verorten. Diese empirische Datenbasis erlaubt zudem zum ersten Mal wiederkehrende Muster und Methoden in der Vorbereitungsarbeit und bei der Übernahme von fotografischem Material zu erkennen und zu interpretieren. Insgesamt handelt es sich um einen extrem fragmentierenden und verfremdenden Entlehnungsprozess, bei dem oftmals die wahrgenommenen Verformungen der Figuren auf der Leinwand geprobt und vorweggenommen werden. Sie erlaubt jedoch ebenso, Bacons Interesse an der fotografischen Vorlage sowie deren Nutzen für seine Arbeit zu qualifizieren. Für den Maler Bacon verliert die Vorlage spätestens im gestischen, pastoralen Farbauftrag ihre Bedeutung. Da unter anderem sowohl Identität als auch Narrative im Übernahmeprozess regelmäßig vernachlässigt werden, können die fotografischen Vorlagen – entgegen Behauptungen aus der Fachwelt – kaum zur Interpretation der fertigen Gemälde dienen. Fotografie war für Francis Bacon von maßgeblicher Bedeutung. Sie bestimmt seine vorbereitenden Arbeitsprozesse ebenso wie die Genese seiner Bildprogramme. Diese Arbeit präsentiert eine einzigartige Perspektive aus einem anderen Medium auf die Fotografie, und erlaubt so einen besonderen Blick auf ihre spezifischen Eigentümlichkeiten und ihre Position im Kontext der Bildenden Kunst. Sie legt vor allem Zeugnis ab von der Wirkmacht und kreativen Potenz der Fotografie, die weit über ihre eigenen Grenzen hinaus spürbar ist.
Bildautor*innen: Diverse
Textautor*innen: Katharina Günther
Gestaltung: Typesetting: SatzBild GmbH, Sabine Taube, Kieve
Herausgeber*innen: Katharina Günther
Verlag: De Gruyter
ISBN: 9783110720624
Laudation von Peter Truschner
Romanautor, Fotograf und Kolumnist, Berlin/Wien (A)
Francis Bacons Popularität ist ungebrochen.
Inzwischen sind sein Leben und sein Werk ein untrennbares Amalgam, eine schillernde Monstrosität von jener Art, wie sie der Ästhetik seiner einzigartigen Bilder selbst zukommt.
Dass Bacon fotografische Vorlagen intensiv genutzt hat, ist schon länger bekannt - nicht zuletzt Aufnahmen von Freunden und Geliebten. Er sich hat dazu folgendermaßen geäußert: Er fühle sich durch die körperliche Anwesenheit von Modellen "gehemmt, weil, wenn ich sie liebe, ich nicht vor ihren Augen die Verletzung vornehmen will, die ich ihnen in meinem Werk zufüge." Was liegt da näher, als sich einer Fotografie zu bedienen?
Die Kunsthistorikerin Katharina Günther hat in Zusammenarbeit mit dem Francis Bacon Estate viertausend fotografische Objekte sichten können, die sich in Bacons letztem Atelier an Wänden, auf Tischen, in Regalen, zerknittert und mit Ölfarbe bedeckt am Fußboden befanden: Fotografien, Drucke aus Bildbänden, ausgeschnittene Fotos aus Magazinen, Tageszeitungen, Broschüren, Postkarten.
In unermüdlicher Kleinarbeit hat Günther die Quellen und Hintergründe der meisten Fotografien recherchiert und thematische Schwerpunkte herausgearbeitet. Sie legt Querverbindungen zwischen den Motiven bloß, zeigt, wie sich der Gebrauch der Motive über die Jahre verändert, legt nahe, warum etwas wegfällt oder plötzlich wieder von Interesse ist, und macht nicht zuletzt fassbar, auf welche Weise sich Bacon das fotografische Material angeeignet und in etwas Neues verwandelt hat, das sich am Ende nicht selten von seiner ursprünglichen Bedeutung löst. Die lange ausschließlich auf Bacons private Verhältnisse hin ausgerichtete Deutung seiner Bilder muss nach Günthers Recherche überdacht werden.
Katharina Günthers „Francis Bacon: In the Mirror of Photography“ ist ein Dokument bedingungsloser wissenschaftlicher Akribie und Hingabe, das zu Recht mit dem Deutschen Fotobuchpreis in Gold ausgezeichnet wird.