Herbert List Panoptikum
Die in Lebensgröße in Wachs geformten „künstlichen Menschen” im Panoptikum im Wiener Prater faszinierten Herbert List. 1944 fotografierte er sie als „aufgestellte, geschminkte Leichen, inmitten der heftigsten Posen erstarrt als Einwohner eines Dornröschenschlosses.“ Mit einem pointierten Text reihte er Märchenszenen, historische Tableaux und medizinische Sujets zu einem Bildband, der bisher nur als Marquette existierte und damals keinen Verlag finden konnte. 75 Jahre später veröffentlichen nun das Photoinstitut Bonartes (Wien) gemeinsam mit Spector Books (Leipzig) und dem Herbert-List Estate (Hamburg) eine bibliophile Ausgabe nach seinem Originalentwurf. Ein Kommentarband stellt ihn in den Kontext seines künstlerischen Werkes und die Geschichte des „Präuscher’schen Panoptikums“, wo sich im 19. Jahrhundert populärwissenschaftliches Interesse mit der Schaulust am Erotischen und Exotischen vermischte. Herbert List (1903 – 1975), emigrierte 1936 als vom Surrealismus und Neuer Sachlichkeit geprägter Künstler aus Deutschland. Er fotografierte danach in Südeuropa, und lebte bis zum Einmarsch der deutschen Truppen in Athen. Nach dem Krieg wandte er sich zunehmend dem Portrait, der Reportage und Straßenfotografie zu und arbeitete für die Agentur Magnum.
Bildautor*innen: Herbert List
Textautor*innen: Monika Faber, Erich Kästner, Herbert List, Sandra Mühlenberend, Andreas Nierhaus, Arne Reimer, Peer-Olaf Richter, Esther Ruelfs, Werner Michael Schwarz, Susanne Winkler
Gestaltung: Christian Schienerl, Nina Sponar, SCHIENERL D/AD, Wien
Herausgeber*innen: Monika Faber, Andreas Nierhaus, Peer-Olaf Richter
Verlag: Spector Books
ISBN: 9783959055819
Laudation von Peter Truschner
Romanautor, Fotograf und Kolumnist, Berlin/Wien (A)
Seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts betrieb Herman Präuscher auf Jahrmärkten ein mobiles Wachsfigurenkabinett in der Tradition fürstlicher Kuriositätensammlungen, das 1871 im Wiener Prater seine feste Bleibe fand. Er versorgte ein neugieriges Publikum mit detaillierten Darstellungen des menschlichen Körpers, seinen Funktionen und Erkrankungen.
Mit der Zeit wuchs sein gestalterischer Ehrgeiz, und er begann, historische und mythologische Szenen nachzustellen.
Die Publikationsgeschichte der Erstausgabe ist einigermaßen skurril. Herbert List, den Nürnberger Rassegesetzen entsprechend ein „jüdischer Mischling zweiten Grades“, fertigte die Aufnahmen nichtsdestoweniger im Auftrag einer Zeitschrift an, die Deutschland bei neutralen Staaten in einem kultivierten und friedvollen Licht zeigen sollte.
1945 arrangierte List seine Fotos der Märchenszenen, historischen Ensembles und medizinischen Sujets mit einem pointierten Text zu einem Bildband. Durch Ausschnitte und Retuschen verhalf er den Wachsensembles zu einer überlebensgroßen Lebendigkeit, die sich gerade der Künstlichkeit der Objekte verdankt.
Geschickt umgeht List die expliziten Denk- und Darstellungsverbote seiner Zeit, überhöht die die zwischen Pathos und Sentimentalität, Schaulust und Morbidität angesiedelten Sujets zu surrealistischen Tableaus. Zugleich sind Motive von Lists eigener Ästhetik darin verarbeitet: Seine Fotografien idealisierter junger Männer haben ebensoviel mit dem Hellenismus des neunzehnten Jahrhunderts zu tun wie mit seinem spielerischen Umgang mit der Populärkultur seiner Zeit.
Die bei „Spector Books“ nach Lists Originalentwurf erschienene, bibliophile Ausgabe, „Herbert List. Panoptikum“, besticht durch ihre äußerst gelungene Komposition. Lists Fotografien verschmelzen mit den vertiefenden Essays zum Sujet und den historischen Hintergründen zu einem Auge und Kopf gleichermaßen ansprechendem Ganzen - eine Leistung, die zu Recht mit dem Deutschen Fotobuchpreis in Gold belohnt wird.