Schichten

Wie fühlt Material? Haut ist etwas Existenzielles, unser größtes Organ. Haut schützt, trennt und verbindet. Auch Leder ist Haut, durch Gerben haltbar gemacht. Häute zu gerben gehört zu den ältesten Handwerken und Traditionen in der menschlichen Geschichte. Ein Material von gestern, heute — und morgen? In der vollstufigen Gerberei Heller-Leder (Niedersachsen) machte ich mich auf die Suche nach den Wurzeln des Materials. Hier betrachtete ich die Herstellung von Rinderleder in seinen zahlreichen Verarbeitungsschritten, fotografierte, wie aus einem Naturprodukt ein Kulturprodukt wird. Ich war erstaunt, wie viele Menschen das Material berühren, und berührt von der Wertschätzung und Achtung, die alle Mitarbeitenden dem Leder erwiesen. Ist und bleibt es doch die Haut eines Tieres, eines getöteten Tieres. Solange Menschen Fleisch konsumieren, kann die Weiterverarbeitung der Haut als sonstiges Nebenprodukt der Fleischindustrie als sinnvoller Mehrwert betrachtet werden. Andererseits stellt sich die Frage, ob und inwiefern die Lederindustrie die wirtschaftlichen Interessen der Massentierhaltung begünstigt. Dennoch ist Leder ein gesellschaftliches Kulturgut, seine Herstellung eine Tradition und viel älter als die Massentierhaltung. Der Ausgangspunkt lautet: Wie kann ein Tier über den Fleischverzehr hinaus bestmöglich verwendet werden? Viele der sogenannten veganen Lederersatzprodukte bestehen zurzeit noch aus Kunststoff und sind dadurch nicht biologisch abbaubar. Aber — um unsere Ziele für den Klima- und Umweltschutz einhalten und den Planeten für nachkommende Generationen erhalten zu können, ist es notwendig, sowohl von Massentierhaltung als auch Einsatz von Plastik wegzukommen. Mit seinen zahlreichen Ambivalenzen ist Leder ein Thema, das die Debattenkultur in unseren Zeiten der Transformation herausfordert.