80 Portraits: 73 Männer, 7 Frauen
In seiner künstlerischen Arbeit "80 Portraits: 73 Männer, 7 Frauen" erforscht Jonas Höschl die visuellen Codes, Gesten und Machtstrukturen der rechtsextremen Szene. Durch die Rekontextualisierung von Bildmaterial, das häufig auf antifaschistischen Plattformen kursiert, setzt er sich kritisch mit der Rolle der Fotografie an der Schnittstelle von Aktivismus und Dokumentation auseinander. Mit künstlerischen Strategien schafft Höschl Resonanzräume, die den Betrachter herausfordern, über politische Systeme und die Ästhetik des Neofaschismus nachzudenken. Seine forschungsbasierte Praxis bietet eine tiefgreifende Untersuchung der Bedeutung von Bildern in unserer heutigen Welt.
Bildautor*innen: Jonas Höschl
Gestaltung: Daily Dialogue (Maximilian Schachtner, Malin Schoenberg, Janis Macke-Schurr)
Verlag: Verlag für moderne Kunst
Verlag Bestell-Link: 80 Portraits: 73 Männer, 7 Frauen
ISBN: 978-3-99153-103-6
Laudation von Prof. Wiebke Loeper
Fachhochschule Potsdam, Berlin
Das Buch 80 Portraits: 73 Männer, 7 Frauen von Jonas Höschl kommt daher wie eine Aktenmappe. In der oberen rechten Ecke stehen Titel, Name und ISBN in grauer Schrift. Durch die Mappe sticht eine Tackernadel. Sie befestigt ein Einlegeblatt in DIN A4, das Text, Dank und die nötigen Informationen zum Buch enthält, sowie einen kleinen Fotoprint, ein Dokumentationsfoto der Ausstellungsform der Arbeit. Die Archivmappe ist außen hellrot aus abwaschbarem Surbalin. Das innere der Mappe besteht aus Graukarton, dem einfachsten Material im Künstlerbedarf. Alle diese formalen Entscheidungen sind bestechend klar und verweisen auf den Archivcharakter der Arbeit. Das helle Rot weckt unsere Aufmerksamkeit.
In der Umlaufmappe liegt lose ein Buchblock, dessen Rücken ebenfalls getackert ist und gehalten wird von einem Material, das auch bei der Wundversorgung eingesetzt werden könnte, wie eine weiße Mullbinde. Der Buchblock fasst 80 Portraits zusammen: 73 Männer, 7 Frauen. Oft schauen sie in die Kamera, gehen darauf zu, ziehen selbst die Kamera, halten eine Fahne oder Fackel. Die Gesichter sind ausgeblurrt, überstrahlt. Wir können die Personen nicht erkennen, nicht identifizieren, sehen aber ihre Gesten, ihre Körpersprache, spüren die Dynamik, sehen, wer sie begleitet, registrieren die unterschiedlichen Logos, Schriftzüge und Symbole der rechtsextremen Szene auf T-Shirts, Hoodies, Jacken und Masken. Jonas Höschl hat diese Bilder in Antifa-Archiven gefunden. Der Text im Buch von Margit Neuhold beschreibt, dass Bilder dieser Art bei Aufmärschen und Demonstrationen gemacht werden und in linken Netzwerken kursieren, um die Szene „zu vermessen und Aktivist*innen zu warnen.“ Archive diese Art gibt es auch in der rechten Szene.
Die Vorderseiten der Blätter des Buchblocks sind schwarz, wie Dokumentenpapier matt, die Rückseiten aber glitschig weiß und glänzend. Habe ich dieses Buch einmal durchgeblättert, bin ich höchst alarmiert. „Mein Opa war Soldat, kein Verbrecher“ lese ich auf dem Pullover eines jungen Mannes unter Soldatenbild, Ehrenkranz und Stahlhelm. 73 Männer, 7 Frauen, meist recht jung, stehen mir gegenüber. Sie sind nur Beispiele, nur Vertreter*innen der vielen, das kann ich spüren.
Danke Jonas Höschl für diese Wachrütteln. Danke, für dieses präzise, ernsthafte und sehr unprätentiöse Buch. Es ruft uns auf, hinzuschauen. Verborgenes wird in der Form des Buches erfahrbar. Die Bilder wirken wie filmische Sequenzen, die auf Szenen einer unbekannten Welt verweisen. Buchgestaltung feiert sich hier nicht selbst, veredelt nicht. Es geht nicht um schöne Gestaltung, sondern um angemessene Gestaltung. Dieses Buch ist engagiert und politisch und gleichzeitig künstlerisch als Buchkonzept absolut überzeugend – einerseits in seiner Einfachheit, andererseits in seiner sicheren Dramaturgie und Gestaltung.
Es ist es ein herausragendes Buch unserer Zeit! Herzlichen Glückwunsch!


