Goldmedaille 25|26
Fotograf*in (Monografie)

Edith Tudor-Hart

Ein klarer Blick in turbulenten Zeiten

Das Werk der Österreichisch-britischen Exilfotografin Edith Tudor-Hart (1908–1973) wird im Bildband »Ein klarer Blick in turbulenten Zeiten« in einer neuen und umfangreichen Retrospektive gezeigt. Ihr Leben wird in den Texten der Autor:innen detailreich nachgezeichnet.Edith Tudor-Hart wies als eine zentrale Protagonistin der sozialdokumentarischen Fotografie zwischen 1930 und 1955 auf gesellschaftliche Missstände hin. Sie behandelte Themen wie Armut, Integration und Frauenrechte und portraitierte die Lebensbedingungen der arbeitenden Klasse. Ihr Werk ist auch von avantgardistischen Elementen des »Neuen Sehens« gekennzeichnet und leistete einen wichtigen Beitrag zur Darstellung progressiver Erziehungsmethoden, modernistischer Architektur und des modernen Tanzes.
Edith Tudor-Hart, *1908 in Wien, +1973 in Brighton, England.

Bildautor*innen: Edith Tudor-Hart

Textautor*innen: Julia Donat, Peter Stephan Jungk, Kurt Kaindl, Stefanie Pirker, Julia Winckler

Gestaltung: Studio Fjeld: Katrion Froschauer, Valentin Backhaus

Herausgeber*innen: Brigitte Blüml-Kaindl, Kurt Kaindl, Stefanie Pirker, Peter Schreiner

Verlag: Fotohof Edition

Verlag Bestell-Link: Edith Tudor-Hart

ISBN: 978-3-903334-88-5

Laudation von Hans-Michael Koetzle
Freier Kurator, Publizist, Autor, München

Was für ein Leben! Zwischen Kontinent und Insel, Wien und London, Brotarbeit und künstlerischen Wollen, Hausfrauendasein und Kurierdiensten im Auftrag der kommunistischen Partei. Zwischen Marx/Engels und schnell wechselnden Liebschaften, Ups and Downs in einer Zeit, die eigentlich nur Ups and Downs kannte, mit dem Unterschied, dass bei Edith Tudor-Hart zeitweise nicht mehr viel Luft nach unten war. Dabei war die 1908 als Edith Suschitzky in Wien geborene attraktive Frau eine wirklich begabte, nein: geniale Fotografin, hatte Ende der 1920er Jahre am Dessauer Bauhaus bei Walter Peterhans studiert, sich allerdings zügig vom Formalismus ihres Lehrers emanzipiert, um in der Folge ihre Rolleiflex als Werkzeug im Kampf für eine bessere Welt einzusetzen. Speziell die frühen Aufnahmen aus einem von ökonomischen und sozialen Krisen geschüttelten Nachkriegs-Wien müssen zu den bedeutendsten Beispielen einer an der Wirklichkeit interessierten Kamerakunst gerechnet werden. Was die um 1930 entstandenen Wien-Aufnahmen der Edith Tudor-Hart, aber auch ihre nach der Emigration 1933 in London entstandenen Straßenszenen sowie der gefühlvolle Blick auf die Welt der Kinder auszeichnet, ist das grundsätzliche Interesse am Menschen, am Leben der kleinen Leute, an der Existenz derer, die eigentlich den Krieg verloren hatten, ist Empathie gepaart mit einem stilsicheren Blick, in dem man dann doch die ordnende Schule eines Peterhans ausmachen kann. Der hier und heute auszuzeichnende Band ist nicht das erste Buch zu Edith Tudor-Hart. Bereits 1986 hatte Dirk Nishen in Berlin eine schmale Monographie herausgebracht und damit die Wiederentdeckung der Fotografin eingeleitet, gefolgt von einem materialreichen Tafelband, erschienen 2013 anlässlich einer ersten großen Ausstellung in Wien. Und nun also eine weitere Publikation, die tatsächlich mehr ist als die bloße Fortschreibung des bis dato Gesagten. Edith Tudor-Hart. Ein klarer Blick in turbulenten Zeiten erscheint anlässlich der Übergabe des erhalten gebliebenen Nachlasses aus Familienbesitz – größere Konvolute hatte die vom britischen Geheimdienst über Jahre obser-vierte bekennende Kommunistin noch zu Lebzeiten vernichtet –, eine großzügige Schenkung also, die den Auftakt bildet zu einer intensiveren wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Werk von Edith Tudor-Hart. Das vorliegende, in sympathisches Salbeigrün gekleidete 172 Seiten starke Buch dürfte folglich erst der Auftakt zu weitern Titeln sein, behauptet sich zugleich als rundum geglückter monografischer Beitrag zur Geschichte einer politisch gemeinten Fotografie von unten. Der Band überzeugt durch kluge Texte, einen umfangreichen Tafelteil, guten Druck auf fingerfreundlichem, offenem Papier sowie eine Gestaltung, die sich unübersehbar an der neuen Typografie der zwanziger Jahre orientiert, ohne zu sehr ins Design abzugleiten. Faksimilierte Druckbelege, Seiten und Doppelseiten aus der zeitgenössischen Presse belegen: Tudor-Hart hat durchaus und prominent publiziert: im sozialdemokratischen Kuckuck, in Liliput und Picture Post, im Daily Worker. Im Willen die Welt im Großen zu verändern, schaffte sie es nicht, ihre eigene kleine Welt zu ordnen, die freilich alles andere war als eine kleine Welt. Tudor-Hart starb 1973. Letzte Jahre hatte sie sich in Brighton als Antiquitätenhändlerin betätigt.

Edith Tudor-Hart. Ein klarer Blick in turbulenten Zeiten, darin war sich die Jury einig, hat in der Kategorie Bildband – Monographie eine Würdigung in Gold verdient.

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